Die Deutschen zählen zu den weltweit besten Ingenieuren. Produkte, die in Deutschland hergestellt werden, überzeugen durch ihre technische Exzellenz. Perfektionismus bis ins kleinste Detail, so lassen sich viele deutsche Fabrikate wohl relativ gut aus internationaler Sicht beschreiben.
Über 20-Prozent der Exportprodukte sind Waren, wie Autos, Flugzeug- und Raumfahrzeugteile, Industriemaschinen und medizinische Geräte. Den Statistiken zur Folge muss die Aussage also richtig sein, die deutschen sind im Ingenieurwesen hervorragend aufgestellt. Als ich erst kürzlich auf Reddit unterwegs gewesen bin, las ich mir eine lange Diskussion von einigen amerikanischen Nutzern der Plattform durch, die Antworten auf die folgende Frage gesucht haben:
„Wenn die Deutschen zu den begabtesten und am besten ausgebildeten Ingenieuren der Welt zählen, warum gibt es dann weder Computersysteme noch Betriebssysteme und auch keine großen Video- und Computerspiele aus diesem Land? Warum haben die Deutschen auf dem Gebiet der Softwareentwicklung so wenig Marktmacht?“
Einige Aussagen dieser Frage eines Amerikaners würde ich zwar nicht zwingend zustimmen, aber grundsätzlich zeigt diese Sicht auch einige Probleme in Deutschland, auf die ich in diesem Artikel gern eingehen möchte.
Inhaltsverzeichnis: Gedanken über die Entwicklung von Software und Videospiele in Deutschland
Deutsche Software ist erfolgreich: Aber nur auf den Bereichen für spezielle Anforderungen
Viele Nutzer, die an dieser Diskussion beteiligt waren, sind überzeugt, dass Deutschland den frühen Start in der Softwareentwicklung und generell in der IT-Branche verpasst hat. Große Softwareunternehmen, abgesehen von SAP, Software AG und Siemens, fehlen auf den ersten Blick. Und was haben die drei genannten Unternehmen gemeinsam?
Keines von den genannten Unternehmen bedient mit ihrer Software den Privatkundenmarkt.
Software aus Deutschland richtet sich also in erster Linie an Nischen-Bereiche und den Business-Sektor. Branchen- und Spezialsoftware beherrschen wir nämlich ziemlich gut. Dass der Konsumentenmarkt davon nichts mitbekommt, zeigt meiner Ansicht nach unsere Professionalität.
Vermutlich gibt es da draußen weit über 100.000 Kliniken und Krankenhäuser, die medizinische Geräte mit Software von Siemens im Einsatz haben. Wir kommen überall auf der Welt mit deutscher Software in Berührung, ohne es zu bemerken. Und sei es nur dann, wenn wir am Hauptbahnhof in Berlin in einen Zug steigen, um über Weihnachten in die Heimat reisen zu können.
Als wir das letzte Mal in der Autowerkstatt gewesen sind, mussten vielleicht Ersatzteile bestellt werden, die von der Werkstatt über ein ERP-System von einem zuvor eingepflegten Lieferanten bestellt worden sind. Du, ich, und vermutlich auch die meisten amerikanischen Nutzer in diesem Thread, kamen höchstwahrscheinlich schon hundertfach mit deutscher Software direkt oder indirekt in Berührung.
Warum ist der Privatkundenmarkt so uninteressant für deutsche Unternehmen?
Das meiner Ansicht nach größte Problem sind wir bei der Softwareentwicklung selbst. Wir können sehr stabile und höchst zuverlässige Software in Deutschland entwickeln. Aber wir sind im Vergleich zu anderen Nationen nicht einmal ansatzweise so schnell und agil, wie wir es uns gerne wünschen würden. Wir verbringen sehr viel Zeit mit der perfekten Planung und Koordinierung (Projekt-Management). Dabei halten wir uns stets an allen Regeln der Softwareentwicklung.
Deutschland ist derart Risikoscheu, dass wir häufig wenig Innovativ sind und uns selbst bei dem Entwicklungsprozess ausbremsen. Die deutschen Softwareentwicklungszyklen sind sorgfältig geplant und kostspielig. Bis zum Beta-Test und der Veröffentlichung ziehen teilweise mehrere Jahre ins Land.
Für branchenspezifische Software ist das perfekt. Wir gehen mit sehr hohen Erwartungen an unserem Produkt. Software für Privatkunden ist aber sehr viel schnelllebiger. Diese Marktanforderungen funktionieren nicht bei der Entwicklung von Computerspielen, genauer gesagt bei für den Verbrauchermarkt entwickelte Software. Da müssen meistens schnellere und vor allem rentablere Optionen her.
Ein weiteres Problem bei der Entwicklung von Unterhaltungssoftware wie Video- und Computerspiele sind die schlechten Fördermöglichkeiten in Deutschland. Verglichen mit den Mitteln, die deutsche TV-Produktionen aus den deutschen Filmförderfonds erhalten, vergeht einem jegliches Verständnis. Um auf dem Gebiet der Spieleentwicklung konkurrenzfähig zu werden, muss Deutschland mehr Fördermittel in die Hand nehmen und die Unternehmen steuerlich entlasten.
Warum sollte eine rein deutsche TV-Produktion, die ausschließlich in deutscher Sprache abgefilmt worden ist, also nur für den deutschen Markt bestimmt ist, mehr Mittel zur Verfügung bekommen als etwa eine Entwicklung für ein Videospiel?
Ein Videospiel dient ebenso der Unterhaltung, wird aber international viel mehr Aufmerksamkeit erzeugen und bei dementsprechendem Erfolg auch mehr Summen einbringen. Wenn mir das jemand beantworten kann, gerne ein Kommentar hinterlassen.
Steht uns der Perfektionismus im Weg?
Perfektionismus und eine strikte Planung scheint in deutschen Unternehmen an oberster Stelle zu stehen. Aber auch bei der Rekrutierung von neuen Mitarbeitern achten wir so, wie ich finde, zu viel auf die vorhandenen Abschlüsse, Zertifikate und den Lebenslauf, sodass das Talent, was ein Quereinsteiger mitbringen könnte, häufig keine Berücksichtigung findet.
Meine Meinung: Weniger Perfektionismus täte der Software-Entwicklung in Deutschland gut
Die besten Programmierer sind in den meisten Fällen die Skript-Cowboys und Tastatur-Heros, die es aus Leidenschaft tun. Ich kenne Menschen, die ein Studium in der angewandten Informatik abgeschlossen haben, aber nicht gut programmieren können. Was ich damit ausdrücken möchte ist, dass viele der großen und erfolgreichen internationalen Software-Unternehmen, die heute Milliarden Wert sind, im Wohnzimmer oder in der Garage entstanden sind. Ganz besonders private Unternehmen haben viel Raum, Talente zu rekrutieren und aktiv zu fördern.
Aber es scheint bei dem deutschen Volk fest in der Genetik verankert zu sein, neue technologische Möglichkeiten und Innovationen per se abzulehnen. Anders würde es sich wohl kaum erklären lassen, warum solche Mail-Postfachanbieter mit Schnittstellen und Technik aus dem Mittelalter, wie GMX.de oder Web.de, immer noch Millionen von Kunden in Deutschland haben können.
Während uns z. B. Google ein nahezu unlimitiertes Mail-Postfach mit Dokumenten-Management und Cloudspeicher kostenlos zur Verfügung stellt. Dass wir unsere Gewohnheiten ungern ändern, zeigt sich auch im Alltag der Deutschen. Wir verwenden bei den öffentlichen Verkehrsmitteln am häufigsten Papiertickets, anstelle von Online-Tickets oder RFID-Karten. Selbstverständlich können sich Software-Entwickler in Deutschland also vermehrt zurücklehnen, bei so wenig Begeisterung für Neues, droht vermeintlich auch keine Konkurrenz im Innenland.
Zusammenfassung über die Probleme und Vorteile bei der Softwareentwicklung in Deutschland
Andere Nationen wie China oder Amerika fahren eine andere Strategie als Deutschland bei ihrer Entwicklung von Software. Deutschland hat sein Spezialgebiet mit ausgereifter und zuverlässiger Branchensoftware gefunden. Während amerikanischen Unternehmen einen völlig anderen Weg verfolgen. Grundsätzlich ist es so, dass Verbrauchersoftware sehr viel schnelllebiger ist und die Entwicklung davon profitiert, schnelle Entscheidungen zu treffen, die zwar nicht perfekt sind, aber größten Teils funktionieren.
Klar, das erhöht die Fehleranfälligkeit und es entstehen vermehrt Bugs, die im Nachhinein ausgebessert werden müssen. Die Software wird aber schneller veröffentlicht und beginnt deutlich früher damit, profitabel zu werden. Was wiederum die Entwicklung erheblich beschleunigen kann, da schneller neues Geld vorhanden ist und man schon wieder Neuerungen und Verbesserungen aus den Feedbacks umsetzen kann.
Das zwingt die Konkurrenz dazu, ihre Software noch während des Entwicklungsprozesses zu optimieren, um nach dem Release noch wettbewerbsfähig zu sein. Das hat wiederum zur Folge, dass sich die finale Veröffentlichung der Software womöglich noch weiter nach hinten hinauszögert.
Die perfekte Software zu entwickeln, kann in ausgereiften Branchen notwendig sein, wo sich die Anforderungen nicht so schnell verändern und eine hohe Stabilität erforderlich ist. Auf die Verbrauchersoftware und Videospielentwicklung trifft das allerdings nicht zu. Diese Branche ist sehr schnelllebig und dynamisch, da die Grafik-Engine und Plattformen einen deutlich kürzeren Lebenszyklus haben, als eine Maschine für den Bau oder ein medizinisches Gerät.
Ein kleines Gedankenspiel zum Schluss:
Erinnert ihr euch noch an den 90er-Jahren, wo wirklich jeder Mensch ein Nokia in den Händen hielt?
Sie dominierten den Markt über einen langen Zeitraum, verloren aber das Rennen und den Wettbewerb, da sie keine neuen Innovationen mehr hervorbrachten und das eigene Betriebssystem keine Chance hatte, mit denen von Apple und Google mitzuhalten.
Heute spielt Nokia keine Rolle mehr auf dem Markt für Mobiltelefone. Würde Nokia jetzt zurückschlagen wollen, um wieder wettbewerbsfähig zu werden oder den Markt gar beherrschen zu wollen, welchen Weg müsste das Unternehmen gehen?